Verlorene Eleganz
Verschwundene Kostbarkeiten, Teil 16: Bis um 1800 entstanden eine Reihe von Palais und repräsentativen Wohnbauten im frühklassizistischen Stil.
Die Eroberung Braunschweigs durch welfische Truppen unter der Führung Herzog Rudolf Augusts im Jahr 1671 verlief unblutig. Nach den bereits über ein Jahrhundert anhaltenden Zwistigkeiten zwischen den Landesherren und der weitgehend autonom agierenden Hansestadt wurden damit politisch zuungunsten Braunschweigs beigelegt – eine der großen Zäsuren in der Stadtgeschichte. Der nun folgende Wandel betraf auch die bauliche Entwicklung der Hauptstadt des kleinen Fürstentums Braunschweig-Wolfenbüttel, welche 1753/54 wieder als Residenz diente. Neben der Schlossanlage am Bohlweg entstanden weitere höfische Bauten wie das Opernhaus auf dem Hagenmarkt oder das im einstigen Paulinerkloster eingerichtete Zeughaus. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde die Architektur von dem langjährig wirkenden Landbaumeister Hermann Korb bestimmt. Sein gemäßigt-barocker Baustil kann gewissermaßen als Vorspiel für den nach 1770 in Braunschweig einsetzenden Klassizismus angesehen werden.
Symmetrischer Baukörper
In der frühklassizistischen Epoche entstanden bis um 1800 eine Reihe von Palais und repräsentativen Wohnbauten, die in dem immer noch überwiegend spätmittelalterlichen Stadtbild neuartige Akzente setzten. Ihre symmetrischen Baukörper und klar gegliederten Fassaden entfalteten eine für die Straßen- und Platzbilder der alten Stadt bisher ungewohnte Eleganz. Nachdem bereits die Herzöge Anton Ulrich und Karl I. durch ihre Erlasse von 1708 und 1750 Neu- und Umbauvorhaben privater Bauherren gefördert hatten, wurde das Programm unter Karl Wilhelm Ferdinand (reg. 1780-1806) fortgeführt. Den Landesfürsten lag die Modernisierung ihrer Residenz am Herzen, große städtebauliche Projekte waren im Gefüge der mittelalterlichen Stadt jedoch nicht umzusetzen. Die Existenz hunderter Fachwerkbauten aus dem 15., 16. und 17. Jahrhundert bis zur Zerstörung des Stadtzentrums im Zweiten Weltkrieg verdeutlicht, dass die landesherrliche Förderung einer zeitgemäßen Umgestaltung der Stadt nicht flächendeckend greifen konnte. Bauherren der repräsentativsten Wohnbauten waren in der Residenz neben alteingesessenen Kaufleuten nun auch Hofbeamte und Angehörige des landsässigen Adels.
Grundlage klassizistischer Architektur war die Rezeption der Baukunst des klassischen Altertums. Diese wurde nun auch zum Gegenstand wissenschaftlicher Forschung. Neben den Bauten der Römer kam der antik-griechischen Architektur ein hoher Stellenwert zu. Man wollte die bis an die Grenzen der Virtuosität ausgereizte Epoche des Barocks und Rokokos überwinden und in der „Nachahmung der Alten“ – wie es der einflussreiche Kunstschriftsteller und frühe Archäologe Johann Joachim Winckelmann formulierte – eine Läuterung des Stils einleiten.
Hofbaumeister Langwagen
Führender Architekt des Frühklassizismus in Braunschweig war Christian Gottlob Langwagen (1752-1805). Der Baumeister stammte aus Dresden und hatte dort an der Kunstakademie anfangs Kupferstechen studiert und widmete sich schließlich dem Bauwesen. Dabei kam er in Berührung mit den frühen Strömungen klassizistischer Kunstauffassungen. 1777 wurde Langwagen in Braunschweig zum Hofbaumeister ernannt. Neben seinen Hauptwerken in der welfischen Residenz – dem Umbau des Residenzschlosses Grauer Hof und dem Landschaftlichen Haus – schuf er hier Entwürfe zu mehreren stattlichen Palais.
Einer der frühesten klassizistischen Wohnbauten war das hoch aufragende Haus Kattreppeln 22. Es wurde 1785/86 für die Gebrüder Gravenhorst errichtet und beinhaltete auch Teile ihres gewerblichen Betriebes. Der Baumeister Wilhelm von Gebhardi realisierte das am Übergang vom Spätbarock zum Klassizismus stehende Gebäude an Stelle der gotischen Kapelle St. Johannis. Bemerkenswert waren das hohe Mansardendach und eine bereits um 1875 beseitigte Freitreppe mit reich gestaltetem Geländer aus Schmiedeeisen. Obwohl die Fassade die Kriegszerstörungen weitgehend überstanden hatte, verfiel sie in den 1950er Jahren dem Abbruch.
Besonders markant
An städtebaulich besonders markanter Position präsentierte sich das Palais von Riedesel: Das hochelegante Bauwerk schloss den alten Augustplatz an seiner Nordseite ab und stand im Blickpunkt der Wolfenbütteler Straße. Nach Schaffung des klassizistischen Wallrings im frühen 19. Jahrhundert bilden Augusttor und -platz den schönsten Zugang in die alte Welfenstadt. Das 1786/87 nach Entwürfen Langwagens entstandene Bauwerk zeigte einen dominanten Mittelbau (Mittelrisalit) mit senkrechter Gliederung durch Wandstreifen (Lisenen). Die ovalen Fenster am Giebel und das Mansardendach erinnerten noch an barocke Architektur. 1885 wurde das Palais zu einem Hotel umgebaut, womit sich der Name „Dannes Hotel“ einbürgerte. Nach seiner Zerstörung bis auf die Umfassungsmauern im Zweiten Weltkrieg wurde das städtebaulich so wichtige Gebäude für den verkehrsgerechten Ausbau im Bereich John-F.-Kennedyplatz 1959 beseitigt.
Ein weiteres bedeutendes Werk Langwagens war das Palais von Veltheim am Damm Nr. 16. Es wurde 1787/88 errichtet und dominierte den Straßenzug an einem Knick nahe der Einmündung in den Bohlweg. Das elf Fensterachsen breite und dreigeschossige Haus war wieder mit einem mittleren Risalit betont. Dort erhob sich über kräftigen Pfeilern ein Balkon, darüber trugen Pilaster ionischer Ordnung den Dreiecksgiebel. Im durch Putzstreifen gegliederten Erdgeschoss existierten seitliche Nebeneingänge. Nachdem das Anwesen 1894 in den Besitz der Familie Brüning gelangte, richtet diese hier einen Saal für Veranstaltungen ein. Dieser ging als Brünings Saalbau in die jüngere Stadtgeschichte ein. Auch das Palais von Veltheim brannte 1944 aus und wurde danach abgetragen – obwohl hier die Straßenflucht beibehalten blieb.
Bereits 1888 abgebrochen
Ein weiteres Palais besaß die Familie von Veltheim am Bohlweg 37 gegenüber der Einmündung des Steinweges. Es wurde 1797/98 allerdings für den Kaufmann Graff errichtet, bevor es 1805 die von Veltheims erwarben. Als Baumeister gilt ebenfalls Christian Gottlob Langwagen. Die Straßenfront besaß einen flachen Mittelrisaliten mit glattem Verputz und seitlichen Fassadenachsen mit feiner Putzgliederung. Über den kreisrunden Fenstern im oberen Teil des Mittelbaus erhob sich ein kräftiger Giebel über Konsolen mit dazwischen aufgespannten Fruchtgirlanden. Das Gebäude wurde bereits 1888 für den späteren Durchbruch der Dankwardstraße abgebrochen.
Das stattliche Haus Bankplatz 2 entstand ebenfalls 1797/98 und geht vermutlich auch auf eine Planung Langwagens zurück. Es entstand im Auftrag des jüdischen Juwelenhändlers Moses Hirsch und gelangte 1827 an die Bankiersfamilie Löbbecke. Die Front zeigte zwar einen breiten Mittelrisaliten mit feinen Stuckverzierungen und betonten Fensterachsen, Hauseingang und Hofdurchfahrt befanden sich jedoch am den Fassadenenden. Für die Einhaltung der Symmetrie war der Hauseingang wie die Durchfahrt mit einem flachen Bogen versehen. Nach schweren Kriegsschäden ist dieses Haus immerhin in leicht veränderter Form wiederhergestellt worden.
Elmar Arnhold ist Bauhistoriker (Gebautes Erbe) und Stadtteilheimatpfleger. Auf Instagram @elmararnhold veröffentlicht er regemäßig Beiträge zu historischen Bauten in Braunschweig.