Viel mehr als die Stimme gegen das Schloss
Vierter Band in der Reihe „Braunschweigische Biografien“ erschienen: Martha Fuchs war Braunschweigs bislang einzige Oberbürgermeisterin und eine bemerkenswerte Frau.
Martha Fuchs, von 1959 bis 1964 Oberbürgermeisterin der Stadt Braunschweig, ist fraglos die bekannteste Braunschweiger Kommunalpolitikerin. Sie ist die bislang einzige Frau, die das höchste Amt in der Stadt bekleidete. Als Nachfolgerin von Otto Bennemann, ebenfalls Sozialdemokrat, lenkte sie die Geschicke der vom Krieg so schwer gezeichneten Stadt in wirtschaftlich schwierigen Zeiten. Ihr Hauptaugenmerk galt dem Wiederaufbau von Wohnungen, Schulen, Kindergärten und Altenheimen. In ihre Ägide fallen der Neubau des Hauptbahnhofs und der Stadthalle, damals „Fuchs-Bau“ genannt, aber eben auch der Abriss des von Bombentreffern beschädigten Residenzschlosses. Die am 2. November in der Dornse des Altstadtrathauses vorgestellte und im Buchhandel erhältliche Biografie begibt sich auf die Spuren dieser bemerkenswerten Frau Martha Fuchs.
Das von der Braunschweigischen Stiftung herausgegebene Werk ist der vierte Band in der Reihe „Braunschweigische Biografien“. Vorausgegangen waren die Biografien von Carl Lauenstein, Heinrich Jasper und Otto Bennemann. Autorin Regina Blume hat eine wissenschaftlich fundierte Arbeit vorgelegt, die angesichts des spannenden Lebens von Martha Fuchs auch für Nichthistoriker eine anregende Lektüre sein dürfte und neuere Regionalgeschichte erhellt. Mit der Reihe will die Stiftung die Identität mit dem Braunschweigischen stärken und mehr Geschichtsbewusstsein im Braunschweiger Land wecken.
Im kollektiven Gedächtnis der Braunschweiger sei Martha Fuchs vor allem mit der Entscheidung für den Abriss der Schlossruine verbunden, die in ihrer Amtszeit vom Rat getroffen wurde, schreiben Gerhard Glogowski, Ministerpräsident a. D. und Vorstandsvorsitzender der Braunschweigischen Stiftung, sowie der amtierende Oberbürgermeister Ulrich Markurth (beide SPD) in ihrem gemeinsamen Vorwort. Zu kurz gesprungen, wie sie meinen: „Dass diese einseitige Sichtweise falsch ist, zeigt diese Biografie auf. Der Abriss der Schlossruine war auch ohne Martha Fuchs praktisch entschieden. Eine Reduzierung darauf wird der bedeutenden Persönlichkeit Braunschweigs und des Braunschweigischen Landes nicht gerecht.“
Die vorliegende Biografie beleuchte Martha Fuchs` Leben umfassend und sei daher „eine angemessene Würdigung einer Frau, die nicht nur durch ihren politischen Sachverstand, sondern auch durch ihre unkonventionelle Art und beeindruckende Persönlichkeit Spuren hinterlassen habe“. Für Glogowski und Markurth hat die damalige Oberbürgermeisterin die politische Kultur der 1950er und 1960er Jahre in Braunschweig mit ihrem aufopferungsvollen Pflichtbewusstsein und ihrem unvergleichlichen Humor entscheidend geprägt.
Im Schlusskapitel „Gedanken über Martha Fuchs kommentiert Autorin Regina Blume: „Diese Entscheidung für den Abriss der Schlossruine, die von der SPD-Fraktion insgesamt getragen wurde, zugunsten der Bürger dieser Stadt und nicht zugunsten des Bauwerks, hat dazu geführt, dass der Blick auf ihre Lebensleistung zu Unrecht bis heute verstellt ist. Sie war eine realistische, tatkräftige, stets auf das Gemeinwohl bedachte Politikerin, eine für ihre Zeit sehr emanzipierte Frau.“
Der Beschluss zum Abriss der Schlossruine und Einrichtung einer Parkanlage sei in einer dramatischen, fast sechsstündigen Ratssitzung am 21. Dezember 1959 am Ende mit den Stimmen der SPD-Fraktion gefasst worden. „Wenn man das 115 Seiten lange Protokoll liest, stellt man fest, dass Martha Fuchs die Sitzung formal eröffnete, zwischendurch moderierte und nach 20 Uhr die Sitzung schloss, eine inhaltliche Äußerung von ihr sucht man in der Niederschrift vergeblich“, schreibt Blume. Versuche vom Land Zuschüsse für den möglichen Erhalt des Schlosses zu bekommen, waren gescheitert. Im Buch steht: „Der stark zerstörten Zonenrand-Stadt Braunschweig wurde diese Aufgabe ohne jede Unterstützung des Landes aufgebürdet.“
Regina Blume standen neben Akten in verschiedenen Archiven auch eine Fülle von privaten Dokumenten zur Verfügung. Vor allem das Tagebuch von Martha Fuchs‘ Stieftochter Nora Kuntzsch und verschiedene Briefe stellen eine wertvolle Quelle dar, um sich dem Menschen Martha Fuchs zu nähern. Der Autorin ist es gelungen, durch den persönlichen Kontakt zu Mitgliedern der Familien Fuchs und Kuntzsch bisher unbekannte Details ans Licht zu bringen. In dem Buch wird deutlich, welche überparteiliche Achtung Martha Fuchs entgegengebracht wurde.
Die Biografie beschreibt die wesentlichen Stationen eines bewegten und nie einfachen Lebens: Geboren als Gastwirtstochter in Bautzen, verheiratet mit dem Redakteur Georg Fuchs, Stiefmutter für drei Kindern, Übersiedlung nach Braunschweig, früh verwitwet, Widerstand im Nationalsozialismus, gefangen im KZ Ravensbrück, geflohen während des Todesmarsches 1945, von der britischen Militärregierung zur Ratsfrau ernannt, erste Fau an der Spitze eines SPD-Bezirks, Staatskommissarin für das Flüchtlingswesen, erste Ministerin in einem Landeskabinett nach dem Krieg, schließlich Oberbürgermeisterin, gestorben an den gesundheitlichen Folgen der KZ-Haft.
Die erste Amtshandlung für Martha Fuchs als Oberbürgermeisterin übrigens war 1959 repräsentativer Art. Sie musste den „Schützenherrn“ spielen. „Ich hatte die Schützen wissen lassen, dass das auch einer meiner Stellvertreter machen könnte. Aber nein, am nächsten Tag rückte hier eine Delegation mit einem riesigen weiß-roten Nelkenstrauß an und erklärte mir, ich müsste das machen“, wird Martha Fuchs in der Biografie zitiert.“ Nun hätte sie nicht anders gekonnt, als dieser Extra-Einladung zu folgen, es sei ein Stück angenehmer Arbeit gewesen. Nicht umsonst war ihr von der Bevölkerung der Titel „Stadtmutter“ verliehen worden.
Fakten
Martha Fuchs
Braunschweigische Biografien, Band 4
Herausgeber: Die Braunschweigische Stiftung
Autorin: Regina Blume
Verlag: Joh. Heinr. Meyer GmbH, Braunschweig
ISBN 978-3-926701-90-9
Preis: 19,90 Euro
Fotos