Von „Glückauf“ und englischen Lokomotiven
Kleiner Ort, große Geschichte: Das Heimatmuseum Zorge zeigt außergewöhnliche Exponate zum „Ruhrgebiet des Herzogtum Braunschweig“.
Mitten im Südharz befindet sich mit dem Heimatmuseum Zorge ein museales Kleinod. Mit sehr viel Herzblut hat der Förderkreis Heimatmuseum Zorge e.V. in den vergangenen 35 Jahren mehr als 4000 Exponate zusammengetragen, die die 750-jährige Geschichte des idyllischen Gruben- und Industrieortes lebhaft und gut aufbereitet widerspiegeln. Bei einer fachkundigen Museumsbesichtigung im Zacharias-Koch-Haus wird schnell klar, dass Zorge die Braunschweigische Landesgeschichte mitgeschrieben hat.
Dank des Hauptförderers des Eisenbahnbaus im Herzogtum Braunschweig, Philipp August von Arnsberg, wurde 1837 auf dem Gelände der alten Blechhütte die Zorger Maschinenfabrik gebaut. Dort wurde für die berühmte Herzoglich Braunschweigische Staatsbahn, übrigens die erste deutsche Staatsbahn, ab 1842 Dampflokomotiven und Tender gebaut. Diese wurden im englischen Stil der Firma Sharp, Roberts & Co., Manchester, gefertigt. Für den Nachbau hatten die Zorger Ingenieure eigens ein englisches Original aus Großbritanniens Industriehochburg geholt und dies, kaum wieder zuhause angekommen, bis zur kleinsten Schraube in Einzelteile zerlegt.
Die Story erinnert ein Stück weit an Roman Herzogs Film Fitzcarraldo. Im Kinostreifen von 1982 wird ein Schiff über Berge durch den Urwald Perus gezogen. Kein Witz: Ein Eisenbahn-Gleisanschluss existierte im Harzort zu dieser Zeit nicht. „Weil es keine Gleise in Zorge gab, musste man die fertiggestellten Lokomotiven mit größten Anstrengungen und sehr umständlich mit Pferdewagen über den Harz ziehen. In Bad Harzburg, damals Endstation der Staatsbahn, setzte man sie auf Schienen“, berichtet Wolfgang Busse, einer von sieben Vorständen des Förderkreises Heimatmuseum Zorge e.V. Man muss dazu wissen, dass es zwischen Zorge und Bad Harzburg rund 40 Kilometer Luftlinie sind. Die ersten beiden Loks erhielten die Namen „Zorge“ und „Hackelberg“. Heute ist im Heimatmuseum ein Modell im Maßstab 1:10 zu sehen.
Doch bereits nach sechs Lokmotiven sei mit der Beauftragung Schluss gewesen, so Busse. Das bedeutete allerdings nicht das Ende der Lokmanufaktur. Ab 1872 baute man in Zorge „Werkbahn-Lokomotiven“ mit stehendem Kessel – eine extravagante Konstruktion, aber ganz offensichtlich ein Technik-Meisterwerk. Denn nur ein Jahr später wurde ein Zorger Exemplar auf der Weltausstellung in Wien präsentiert.
Zur Zorger Industriegeschichte gehört auch, dass 1827 in den Hütten von Wieda und Zorge 17.000 Zentner Gusswaren produziert wurden. Der Braunschweigische Buchhändler Eduard Vieweg ließ in Zorge die Columbia Buchdruckerpresse herstellen, um sie in ganz Deutschland zu verkaufen.
Auf dem Außengelände ist ein Original des Normag-Schleppers, ein damals bekannter Trecker aus der unmittelbaren Nachkriegszeit, zu sehen und komplettiert die Schau der technischen Erfolgsgeschichten aus Zorge.
„Zorge ist nicht nur wegen des Zisterzienserklosters Walkenried weit über die Grenzen des Landes Braunschweig bekannt gewesen. Das Gebiet Zorge/Wieda war das Ruhrgebiet des Herzogtums Braunschweig“, weiß Busse. Und so darf natürlich die Bergbau-, Gruben- und Hüttengeschichte des damals für die Löwenstadt enorm wichtigen Ortes nicht zu kurz kommen. Dokumentiert wird beispielsweise das „Pingen“, bei dem nach dem Dreißigjährigen Krieg vier bis fünf Angehörige einer Familie kleine Bergbauunternehmen bildeten, die aus Gruben Erze zu Tage beförderten, indem sie sich waagerecht in den Berg arbeiteten, und anschließend an die staatlichen Hütten verkauften, berichtet Busse.
Komplett ausgestattete Schreiner-, Schuster- und Schlossereiwerkstätten, eine Schmiede, eine Harzer Mineraliensammlung, Postausstellungsstücke der Thurn & Taxis-Ära, in der Hütte gegossene Kunstgüsse, alte Öfen, (Bauern-) Möbelstücke, originale Trachten, eine Waschküche, Harzer Trachten und vieles mehr zeugen auf (nur) 300 Quadratmetern eindrucksvoll und für die Nachwelt erhalten vom Arbeits- und Alltagsleben in Zorge.
Der Obelisk auf dem Löwenwall in Braunschweig, der 1823 zu Ehren der im Kampf gegen Napoleon gefallenen Herzöge Karl Wilhelm Ferdinand und Friedrich Wilhelm errichtete wurde, besteht zu großen Teilen aus 12 Meter langen, in Zorge gegossenen Eisenplatten. Er steht nur einen Steinwurf entfernt vom Haus der Braunschweigischen Stiftungen. Dort beheimatet ist die Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz, die seit 2002 in loser Folge das Heimatmuseum Zorge auf vielfältigste Weise unterstützt. Zum Beispiel sponserte die Stiftung in der Vergangenheit die Anschaffung von Vitrinen, aber auch gab sie Geld für die Restaurierung des Grabsteins von Bernhard Nentzel von 1743. Wer es nicht weiß: Nentzel war der erste Zorger Arzt. Er versorgte medizinisch unter anderem Bergleute und Hüttenarbeiter, wenn sie sich bei der harten und gefährlichen Arbeit verletzt hatten. Heute steht der Stein vor dem Museum.
Aktuell rund 100 Mitglieder hat der Förderkreis Heimatmuseum Zorge e.V., eine große Zahl, bedenkt man, dass der Harzort nur knapp 1000 Einwohner zählt. Wolfgang Busse und seine Mitstreiter arbeiten an einem neuen Projekt. Sie wollen, 70 Jahre später, das Ende des Zweiten Weltkrieges in Zorge am 8. April 1945 aufarbeiten. Da die Festung Harz bis zuletzt durch SS-Verbände und deutsche Wehrmacht verteidigt wurde, gab es in den letzten Kriegstagen noch Opfer unter der Zivilbevölkerung zu beklagen, auch bei einem Bombenangriff der Alliierten.
Fazit: Zorges mit viel Sammelleidenschaft errichtetes Heimatmuseum ist klein, dafür aber auch besonders fein. Und ausschließlich im Ehrenamt betreut. Ein Besuch lohnt sich!
Kontakt
Heimatmuseum Zorge
im Zacharias-Koch-Haus (ehemaliges Haus der Kurverwaltung)
Am Kurpark 4
37449 Zorge
Tel.: 05586 8206 / -1642 / -962639
heimatmuseum.zorge@web.de
www.kulturoffensive-suedharz.de/heimatzorge.htm
Öffnungszeiten
Sa. u. So. 10 bis 12 Uhr
Mi. 15 bis 17 Uhr (vom 1. Mai bis 30. September)