Waldwanderung ums Kloster – Wie Pflanzen uns den Weg weisen
Botaniker und Buchautor Burkhard Bohne schärft den Blick für die Kreisläufe der Natur und die Botschaft der Pflanzen.
Zehn Minuten Stille. Kein menschlicher Laut, kein Wort. Himmlische Ruhe. Burkhard Bohne versteht es, die Teilnehmerinnen seiner Führung aus dem Alltag zu lösen, zu entschleunigen, den Sinn auf die Sinne zu richten. Natur. Vogelgezwitscher, Blätterrauschen, Wasserplätschern. Augen, Ohren, Nasen auf für das große Wunder da draußen!
Dieser Artikel ist zuerst erschienen am 18.06.2021 (Bezahl-Artikel)
Bohne ist ein ein beseelter Fürsprecher. Vor einigen Monaten hat der Leiter des TU-Arzneipflanzengartens und geistiger Vater des Klostergartens in Riddagshausen sein Buch „Die Botschaft der Pflanzen“ herausgegeben. Kein Ratgeber, sondern eine sehr persönliche Analyse, wie die Natur uns uns näher bringen kann. „Wenn wir die Gesetze der Pflanzen auf uns Menschen übertragen, werden auch wir glücklicher“, sagt Bohne. Sein Motto: „Grün tut gut!“
Wir sammeln uns vor dem Eingang der Klosterkirche. Drei Stunden wollen wir mit Bohne auf Wanderschaft gehen. Der Gärtnermeister will uns die Intelligenz der Natur nahebringen, aufzeigen, wie alles zusammenhängt, will uns die natürlichen Lebensrhythmen lehren und uns helfen, die Zeichen der Natur zu deuten.
Nachhilfestunde in Sachen Nachhaltigkeit
Ein perfekter Nachmittag für eine Nachhilfestunde in Sachen Nachhaltigkeit. Der Wald hält die Hitze ab, die Wärme entlockt den Pflanzen feinste Düfte. Bohne steigt ein mit einer Zeitreise zu den Zisterziensern. Jenen Mönchen, die im 11. Jahrhundert von Burgund auszogen, neue Klöster zu gründen vor den Toren von Städten. Ein Orden der Rückbesinnung, der wieder Demut, Armut und Askese leben wollte.
Bohne preist die Erfolgsgeschichte der Zisterzienser, ihren durchdachten Landbau, der bis heute Gültigkeit besitze. Wie ein Spinnennetz lagen am Ende ihre rund 350 Klöster über der Landkarte Europas. Das Verdienst der Zisterzienser war es, dass die Hungersnöte nun ausblieben. Auch die medizinische Versorgung verbesserte sich dank des Wissens um die heilende Kräuter.
Mehr Achtsamkeit im Umgang mit der Natur, bitte!
So wurden die Mönche reich, begannen mit Geld zu handeln – und leiteten damit ihren Untergang ein. „Nachdem sie sich von ihren Prinzipien verabschiedet hatten, dauerte es gerade einmal 100 Jahre, bis der Orden in sich zusammenbrach“, berichtet Bohne trocken.
Der Botaniker plädiert für mehr Achtsamkeit im Umgang mit der Natur. „Wir sollten uns wieder mehr daran erinnern, dass wir Teil der Natur sind und auch die nicht menschliche Natur ein Teil von uns ist.“ Die Natur kann ohne uns, wir aber können nicht ohne die Natur.
Pflanzen existieren niemals nur zum Selbstzweck
Gärtnermeister Bohne, 1962 in Northeim geboren, gründete 2011 die erste Kräuter-Schule Braunschweig, die seit 2016 einen Ableger auch in Berlin hat. „Pflanzen existieren niemals ausschließlich zum Selbstzweck; sie können nur überleben und sich entwickeln, wenn sie mit anderen Lebewesen interagieren und kommunizieren“, sagt er. Es sei eben nur das wirklich gut, was allen gut tue.
Bohne geht kritisch mit der Menschheit ins Gericht: „Vielleicht ist es an der Zeit zu erkennen, dass wir mit unserem Konsumverhalten den Bogen weit überspannt haben und dass wir unser Verhältnis zu anderen Menschen und besonders zur Natur neu denken müssen.“ Bohne verweist auf den sich immer stärker beschleunigenden Klimawandel, auf Grundwasser, das in atemberaubendem Tempo verbraucht werde, auf das erschreckende Ausmaß des Artensterbens.
Eine Buche braucht 500 Liter Wasser am Tag
Der Borkenkäfer kann nur so verheerend wirken, weil die Bäume kein Wasser mehr haben, um das nötige Harz produzieren zu können, das die Brut ihrer Zerstörer in Schach hält. Wir staunen: „Eine ausgewachsene Buche Bohne braucht 500 Liter Wasser am Tag“, erklärt Bohne. Er verweist auf den Raubbau des Menschen an der Natur. Mit der Industrialisierung kam die Maßlosigkeit. Er beklagt: „Großflächig angelegte landwirtschaftliche Monokulturen, versiegelte Flächen, Bauwut und Schottergärten drängen die Natur immer weiter zurück.“ Schon in jungen Jahren war ihm klar geworden: „Irgendwann mussten die Menschen die Verbindung zur Natur vollständig gekappt haben.“ Das will er wieder ändern.
Und so erzählt vom Werden und Vergehen. Er weist uns darauf hin, dass eine Pflanze nur am rechten Ort gedeiht. Wenn alle Bedingungen für sie optimal sind. Ansonsten stirbt sie ab und überlässt sich als Nahrung dem Wohlergehen anderer. Ein funktionierendes Gesamtsystem, das für ein natürliches Gleichgewicht sorgt und für Artenvielfalt. „Das Vergehen ist so wichtig, wie das Werden“, sagt Bohne. Diese Erkenntnis helfe, auch den eigenen Tod unaufgeregt zu betrachten.
Bohne macht uns klar, dass der Wald der Zukunft anders aussehen wird. Weil die meisten Bäume den sinkenden Grundwasserspiegel und den Anstieg der Temperaturen nicht verkraften werden. Der Harz ist ein mahnendes Beispiel vor der Haustür. Möglich, dass der Ahorn in die Bresche springt für Fichten und Buchen. Weil er Trockenheit und Hitze besser trotzen kann. Bohne nennt ihn den Forstbaum der Zukunft in Mischwäldern.
Wir lernen hinzuschauen. Lernen, den giften Schierling vom harmlosen Wiesenkerbel zu unterscheiden, hören, dass dem Holunder einst nachgesagt wurde, dass er Dämonen fernhalte, und staunen, als Bohne uns erklärt, dass von innen angefressene Blätter auf Raupenbefall hindeute, von außen angenagte auf Schneckenfraß.
Es gibt so viel zu entdecken und zu verstehen. Drei Stunden reichen nicht aus. Am Ende gibt uns Bohne noch seinen innigen Wunsch mit auf den Heimweg: „Weisheit statt Ego!“ Und bevor wir mit wertvollem Wissen gesättigt auseinandergehen, bittet er erneut um 10 Minuten der Stille. Himmlisch.
Dieser Artikel ist zuerst erschienen am 18.06.2021 und erreichbar unter: https://www.braunschweiger-zeitung.de/braunschweig/article232564931/Waldwanderung-ums-Kloster-Wie-Pflanzen-uns-den-Weg-weisen.html (Bezahl-Artikel)