Was ist denn los mit unserem „Vaterland“?
Eine Ausstellung des „Kunst Kollektivs Kreuz“ geht der Frage bis zum 30. September im BBK-Kunsthaus mit überraschenden, teils provozierenden Werken auf den Grund.
Vor dem ehemaligen Zollhaus Humboldtstraße 34 steht auf dem Gehweg mit blauer Kreide krass das Wort „Nazis“ geschrieben. Auch die Hauswand des BBK-Kunsthauses ist so verunziert. Zum Glück lässt sich Kreide mit Wasser schnell abspülen. Da haben wohl ein paar Übereifrige etwas falsch verstanden. Ja, da hängt ein Plakat mit dem Aufdruck „Vaterland“. Und das Wort ist auch noch in Frakturschrift geschrieben. Jener Schrift also, die in der Zeit des Nationalsozialismus Verwendung fand. Aber direkt darunter steht „Eine Auseinandersetzung“. Der Schriftzug „Vaterland“ soll wie die Ausstellung selbst provozieren. Kunst darf das, Kunst soll das, Kunst muss das.
Die Vernissage der Ausstellung „Vaterland“ findet am Freitag, 24. August, von 20 bis 24 Uhr, statt. Ob die Schrift „Nazis“ bis dahin weggewischt wird oder ganz bewusst bleibt, ist bis dahin eine offene Frage. „Vaterland“ jedenfalls ist eine künstlerische Reflexion der Identitätssuche der Deutschen, eine Auseinandersetzung mit dem Begriff Leitkultur und dem Führungsanspruch und der Toleranz der christlichen Glaubenslehre gegenüber anderen Religionen und Minderheiten. Mit Nazi-Vergangenheit hat sie nichts zu tun, vielmehr geht es um Entwicklungen, die bis heute reichen.
„Vaterland“ ist eine Ausstellungskonzeption des „Kunst Kollektivs Kreuz“. Dahinter verbergen sich die BBK-Künstler Gernot Baars, Andreas Greiner-Napp, Friedhelm Kranz, Erick Miotke und Michael Nitsche. Sie gehen in unterschiedlichen Genres unterschiedlichen Fragen nach. Die Bandbreite reicht von Hindenburg, den Starfighter-Abstürzen, den Wirtschaftswunder-Zeiten, der Wiedervereinigung bis hin zur Asylproblematik und der Konfrontation mit fremden Kulturen. Objekt- und Klang Installationen, Videos, Skulpturen, Bilder und Fotos sind zu sehen, die sich mit dem Vaterland auseinandersetzen. Die Besucher können ihre Meinung äußern – die weißen Blätter sind in alte Olympia-Schreibmaschinen eingespannt und warten darauf, mit Kritik oder Gedanken zur Ausstellung gefüllt zu werden.
„Wir wollten eine politische Ausstellung über das Thema `Was ist deutsch?´ oder ´Wer darf Deutscher werden?´ machen. Wir wollen die Deutungshoheit nicht der neuen Rechten überlassen, sondern wir als Künstler Position beziehen und gegen die Spaltung der Gesellschaft wirken“, erklärt Kranz die Motivation zur Ausstellung der fünf Braunschweiger Künstler. Unterstützt wird sie unter anderem von der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz (SBK).
Friedhelm Kranz liefert mit seiner Installation „Heimaterde“ das Kernstück der Ausstellung. In einem Regal im Erdgeschoss sind Weckgläser in Kreuzform angeordnet. In jedem Glas steckt ein Stück Erde von Aufschlagstellen deutscher Starfighter-Piloten, die während ihrer Flugausbildung tödlich verunglückten. An jedem Glas hängt ein Namensschild mit Ort und Datum des Absturzes. „Es ging mir bei dieser Arbeit primär um die gesellschaftliche und journalistische Rezeption der Ereignisse und deren Auswirkung auf die Entwicklung auf die deutsche Gesellschaft“, sagt Kranz.
Begleitend gibt es einen beeindruckenden Videobeitrag (Schnitt und Ton: Erick Miotke), unter anderem mit Aufnahmen von Andreas Greiner-Napp, die während einer Arizona-Reise gedreht wurden, bei der Kranz 22 Starfighter-Absturzstellen besuchte. Dazu erklingt eine Tonspur eines fiktiven Gesprächs zwischen einem Fragesteller und dem damaligen Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß. Strauß, dargestellt durch eine Frauenstimme, spricht dabei von Schicksal, vom Sterben fürs Vaterland und hält die Nachrichten über technische Mängel für eine frühe Art der „fake news“.
Gernot Baars hat einen großen Steinadler als deutsches Symbol aus Heißkleber und Acrylglas modelliert. „Die Identifikation mit Gesellschaft, Staat und Vaterland ist keine einfache Aufgabe. Religiöse Instanzen, wirtschaftliche Institutionen und gesellschaftliche Aktivitäten können hilfreich sein oder zur Entsagung und Verwirrung beitragen. Und so suche ich in der Vergangenheit nach einer Bewunderung für eine Gemeinschaft, die zum Wiederaufbau eines ganzen Landes führte, in der sich die nächsten Generationen wohlfühlten. Die Skulptur `aquila chrysaetos` (Steinadler) soll eine Art Hommage an genau diese Stärke sein“, beschreibt er seine Arbeit.
Das Vaterland von Andreas Greiner-Napp war die DDR und ist untergegangen. Er hat sich auf Fotosuche in seine frühere Heimat begeben und nachdenklich machende Eindrücke von vermeintlich blühenden Landschaften mitgebracht. Sie sind im Obergeschoss des Kunsthauses gehängt. „Sein Vaterland verloren zu haben, macht wehmütig, weil dieses ambivalente Gefühl eine glückliche und sichere Kindheit und Jugend verbracht zu haben, im Widerspruch zu dem steht, was das System mit den Menschen gemacht hat, die nicht auf der Linie liefen“, meint er.
„Der Weiße Albino“ von Michael Nitsche stellt sich als ein Wesen dar, das nicht kulturell, nicht rassisch, nicht zeitlich zuzuordnen ist. „In der formalen Anlage der Figur sind die Vertikale und die Horizontale der Kreuzform wiederzufinden – Verweise auf die Polarität der Welt: das Männliche und das Weibliche. In seiner existenziellen, ruppigen Erscheinung fragt der Albino nach anderen Daseinsformen und ihren Verortungen in der Gesellschaft. Die Vögel, die er auf dem Reif bei sich trägt sind transkulturelle Symbole für die geistige Welt, für den freien Raum, in dem die Grenzen der Materie überwunden sind“, erläutert Nitsche seine Skulptur, der den geistig-intellektuellen Freiraum schätzt, „den mir mein Vaterland, die Bundesrepublik Deutschland, ermöglicht“.
Erick Miotke steuert mit seinem Beitrag die Klang-Installation „Kreuzton-Traum“ bei, die Inhalte der deutschen Kultur, Geschichte und Assoziationen zum Thema „Vaterland“ mit diversen Klangstrukturen zum Ausdruck bringt. Die Soundcollagen werden von zwei Abspielgeräten per zufälliger Wiedergabe in einem Endlos-Loop präsentiert. „Ob dies ein schöner Traum oder eher ein Alptraum wird, hängt von der zufälligen Verschachtelung der einzelnen Soundcollagen ab, die jedes Mal einzigartig sein wird“, erklärt Miotke. Die Mischung ergibt sich aus einem Drittel dunkel-negativ behafteter, einem Drittel neutral-sachlicher und einem weiteren Drittel positiv-schöner Soundcollagen.
Abgerundet wird die Ausstellung von Klängen aus einer 70er Jahre-Musikbox. Sie füllt einen Raum nur mit deutschem Liedgut, mit deutschen Schlagern. Aus den Lautsprechern klingen Wencke Myhre, Billy Mo, Gus Backus, Nana Mouskouri oder Vico Torriani. Keiner der Interpreten wurde übrigens in Deutschland geboren und doch flogen ihnen die Herzen der Deutschen zu.
Fakten
Vernissage: Freitag, 24. August, 20 Uhr, BBK-Kunsthaus, Humboldtstrasse 34. Musiker Jan Heie Erchinger wird der Austellung entsprechendes Liedgut beisteuern. André Göhmann wird an der Ecke Theaterpark/Staatstheater und vor dem BBK deutsche Literatur und deutsche Schlager rezitieren.
Ausstellung: bis 30. September. Öffnungszeiten: Mittwoch bis Freitag von 15 bis 18 Uhr, Samstag und Sonntag von 11 bis 17 Uhr.
Kontakt: Telefon 0531-346166, Mail info@bbk-bs.de, Internet www.bbk-bs.de
Facebookseite: www.facebook.com/xxx.vaterland/
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