Wer hat Angst vorm großen Faust? Niemand!
Das Faustival nimmt Goethes Klassiker aus neuen Blickwinkeln in die theatrale Mangel.
„Sag mal Klettergerüst. Hast nen nackten Mann geküsst!“ Da müssen die Gretchen ein bisschen prusten. Und als einer der Fäuste dann auch noch dieses ruft: „Gretchen die lachte, ihr Busenhalter krachte!“ da glucksen die Jungs vergnügt unter ihren schwarzen Zylindern. Und die Gretchen zwirbeln ein klein wenig verlegen an ihren strohblonden, rapunzellangen Perückenzöpfen.
Wir sind bei einer Probe des Miniclubs im Theaterpädagogischen Zentrum. „Wer hat Angst vorm großen Faust?“ heißt das Stück, das die Jüngsten während des Faustivals auf die Bühne im LOT-Theater bringen werden.
Und wer hat nun Angst? Niemand natürlich. Dabei kann einem der gute alte Goethe schon gehörig Respekt einflößen, zumal wenn man noch ein Kind ist, dann kommt die Sprache des Dichterfürsten doch recht steil herüber. Eigentlich versteht man mit sechs Jahren nur Bahnhof. Aber die Kinder des Miniclubs ließen sich davon nicht einschüchtern. Faust ist Weltliteratur, okay, aber wenn man mal nicht in Demutshaltung an den Alten heranrobbt, sondern schaut was einem die Geschichte heute noch zu erzählen vermag, dann wird es ein theatrales Abenteuer. „Wir haben zunächst einmal die Geschichte kennengelernt, Ideen gesammelt, improvisiert und geschaut, was von den Kindern kam“, erzählt Spielleiterin Mirja Lendt von den Anfängen im November. Texte sind während der Proben entstanden, es ist eine Art munteres Theater by doing, der Entstehungsprozess macht gewissermaßen das aus, was hernach auf die Bühne kommt. Ob die Kinder im Alter zwischen sechs und 13 Jahren nun alle ihren Goethe einmal rauf und wieder runter reflektieren können – darum geht es nicht! „Manche haben ganz viele Fragen gestellt, manche fanden den Originaltext echt doof, aber alle haben das Stück erfasst, dass wir aus Goethes Faust gemacht haben.“
Schauen wir noch mal, wie sich die Kinder den Faust anverwandelt haben. Da sind Meff und Fisto, echtes Teufelspack. Sie bieten dem alten und sehr traurigen Faust eine Wette an: Machen sie ihn wieder froh, bekommen sie seine Seele. Faust schlägt ein und verknallt sich sofort in Gretchen. Soweit so ähnlich. Aber die Kinder interpretieren die schwere Kost der Geschichte auf ihre Weise: frech, mit mächtig Körpereinsatz, Liedern im HipHop-Stil und Schlägen in die Magengrube. Damit die Hauptrollen auf viele Schultern verteilt sind, gibt es eben viele Gretchen und jede Menge Fäuste. Gretchen und Faust kommen sich bei einer Art Zeitungstanz näher, der an erste zarte Annäherungen auf Klassenfahrten erinnert. Papier wird in Lendts Bearbeitung übrigens nicht nur eine Nebenrolle spielen. Sie muss die Gruppe gar nicht mit Strenge bei der Stange halten, die Kinder sind eh mit Feuereifer dabei. Nur der Text, der sitzt noch nicht so astrein. „Da müsst ihr ran!“ Mitunter muss man kichern, wenn sich Faust dehnt und reckt und springt und sich wundert, was man mit den jungen Knochen wieder machen kann . . . jede Menge . . . . Nach der ersten Liebesnacht jedenfalls nimmt der kleine Meff kein Blatt vor den Mund: Die hatten Sex!
Das Faustival ist ein Projekt vom LOT-Theater in Kooperation mit dem Theaterpädagogischen Zentrum für Braunschweig und die Region. Gefördert wird es von der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz, der Öffentlichen Versicherung, Volkswagen und der Richard-Borek-Stiftung. Und warum Faust? „Die Clubs wollten einfach mal etwas zu einem gemeinsamen Oberthema machen, von unterschiedlichen Seiten auf einen Stoff gucken. Faust fanden alle schnell gut, dass er auch immer wieder Abiturthema ist, ist Zufall. Aber kein schlechter“, so Martin von Hoyningen Huene, Geschäftsführer vom LOT-Theater, zum Festivalhintergrund.
Marie-Luise Krüger hat mit einer Gruppe von Erwachsenen zwischen 18 und 50 Jahren den Beitrag „Faust auf die Faust“ erarbeitet. Sie startete die Probenarbeit so: „Nicht noch mal den Faust lesen!“ Die Teilnehmer sollten in der Erinnerung kramen und schauen, was sie überhaupt noch wissen von dem Stoff. Diese Gruppe hat das Augenmerk auf den Faust selbst konzentriert, auf den frustrierten Intellektuellen. „Was wissen wir, was kann man begreifen, was ist Glaube, Wahrheit, Wissen? Und: Wissen wir überhaupt etwas?“ Diese Fragen hätten die Spieler beschäftigt und sie ein neues, in sich geschlossenes Stück entwickeln lassen.
Jugendliche mit diesem Brocken namens Faust zu konfrontieren, ist an sich schon ein Brocken Arbeit. Aber Nadine Wolfarth, die mit 14- bis 18-Jährigen „Der Fall Faust“ erarbeitet hat, kann nach einigen Probenwochen nur sagen: „Die leben hier ein richtiges Gemeinschaftsprojekt. Und wollen manchmal gar nicht aufhören zu proben.“ Höchst spannend sei für diese Gruppe der Mephisto gewesen, eine Manipulationsfigur, die zum Regisseur des Lebens von Faust wird.
Vierter im Faustival-Bunde ist die MerhaBande, fünf junge Leute mit Migrationshintergrund. Sich durch den Text zu beißen, war echte Schwerstarbeit, der sich die Truppe aber gestellt hat, auch wenn ihr manchmal graute vor Heinrich, erzählt Spielleiterin Rabia Akin. Interviews in der Stadt ergaben übrigens: Die meisten hatten wenig bis keine Ahnung von dem Fauststoff! Zusammen haben sie sich für die Improvisation entschieden, ein paar wenige Sätze auswendig gelernt und den Faust ansonsten umgemodelt zu einer Art Gesellschaftsspiel um Glaube, Liebe, Wissen. Titel: Goethe, ärgere dich nicht. Frei nach dem Motto: Der Faust steckt in uns allen. Die Kraft ist schwach, allein die Lust ist groß! Karten ziehen und losspielen. Man darf gespannt, wer am Ende gewinnt . . . .
Termine
Faustival: 24. Mai (Premiere), 18 Uhr, 25. Mai, 14 Uhr, 26. Mai, 9.30 und 11.30 Uhr.
Goethe, ärgere dich nicht: 30. Mai (Premiere), 6. und 7. Juni, jeweils 20 Uhr.
Faust auf die Faust: 26. (Premiere), 27. und 28. Juni, jeweils 20 Uhr.
Der Fall Faust: 10. (Premiere), 12. Juli, 19 Uhr, 13. Juli 18 Uhr, 14. Juli 9.30 und 11.30 Uhr, 19. Juli 17.30 Uhr.
Alle Aufführungen im LOT-Theater, Kaffeetwete 4a, Braunschweig.
Mehr unter www.lot-theater.de