Wie ein Lindwurm – die Güldenstraße
Verschwundene Kostbarkeiten, Teil 22: Möglicherweise war im 13. Jahrhundert dort das Goldschmiedehandwerk.
Die Güldenstraße gehört zu den längsten Straßenzügen der Braunschweiger Innenstadt. Mit ihren 80 Hausnummern wird sie lediglich von der Wilhelmstraße (105 Adressen) übertroffen. Der feierlich klingende Name dieser im historischen Weichbild Altstadt einst prägenden Straße ist bis auf das Hochmittelalter zurückzuführen: Im Jahr 1297 wurde sie erstmals als „Aurea platea“ erwähnt. Zehn Jahre später trat in den Urkunden die niederdeutsche Bezeichnung „guldene strate“ in Erscheinung. Heute ist die Güldenstraße als westliche Spange des „Kerntangentenvierecks“ eine vielbefahrene Schneise, die die parallel verlaufende Echternstraße mit der Traditionsinsel St. Michaelis vom Stadtzentrum abtrennt.
Geheimnisvoller Name
Woher stammte die geheimnisvoll anmutende Bezeichnung dieses Straßenzuges? Ähnliche Straßennamen kommen auch in anderen mittelalterlichen Stadtkernen vor. Hin und wieder waren diese Bezeichnungen humorvoll-euphemistisch gemeint: Es handelte sich bei „Goldstraßen“ nicht selten um Wohnorte der wenig begüterten Stadtbevölkerung mit entsprechenden hygienischen Verhältnissen. An der Braunschweiger Güldenstraße bestanden jedoch – wie wir noch sehen werden – stattliche Bürgerhäuser, zu denen sogar große Steinbauten gehörten. Möglicherweise war die Güldenstraße im 13. Jahrhundert Standort des Goldschmiedehandwerks. Bei Ausgrabungen in der benachbarten Echternstraße sind 2002 entsprechende Funde zutage getreten. Eckpunkte für die frühe Geschichte der Straße sind die Ersterwähnungen der Michaeliskirche (1157) und des Petritores im Jahr 1196. Dies zeigt: Der sanft S-förmig geschwungene Straßenzug entstand mit der fortschreitenden Besiedlung der Altstadt in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts während der Herrschaft Heinrichs des Löwen.
Die Güldenstraße ist heute eine der beiden großen südlichen Einfallstraßen in den Stadtkern. Weiterführend verbindet sie das Zentrum über den Europaplatz und die Theodor-Heuss-Straße mit den Autobahnen. Ursprünglich endete der Straßenzug jedoch an der Kreuzung mit Südstraße und Prinzenweg. Man verließ die Stadt durch den Prinzenweg und das Michaelistor. Erst 1730 wurde im Rahmen der barocken Bastionärbefestigung das neue Wilhelmitor am Gieseler geschaffen – nun ging es in direkter Verlängerung der Güldenstraße über die Wallanlagen zur Frankfurter Straße. Im Norden mündete die Güldenstraße auf den Südklint, von wo die Straße Am Alten Petritore zum gleichnamigen Stadttor führte. Heute existiert der einst so reizvolle Südklint nicht mehr, der fließende Übergang von der Güldenstraße auf den Verkehrs-Verteiler Radeklint ist kaum spürbar.
Traditionsinsel Michaelis
Im Zweiten Weltkrieg wurde die historische Bebauung weitgehend zerstört. Lediglich im südlichen Teil ist um St. Michaelis ein Ensemble mit Fachwerkhäusern erhalten geblieben, obwohl auch hier auf der östlichen Straßenseite zum Zweck der Verbreiterung 1970 noch Fachwerk weichen musste. Das Ensemble bildet mit den Baudenkmälern an der Echternstraße und am Prinzenweg die heutige Traditionsinsel Michaelis. Zu den erhaltenen Häusern gehört das 1567 errichtete „Haus zur Hanse“ an der Güldenstraße 7. Es gehört nicht nur zu den stattlichsten Renaissancefachwerkhäusern Braunschweigs, sondern ist auch Denkmal der Wirtschaftsgeschichte: Die hier 1627 von Zacharias Boiling gegründete Brauerei war Stammhaus der heutigen Wolters-Brauerei.
Dem Haus zur Hanse gegenüber standen zwei schlichte aber stattliche Massivbauten. Das zuletzt barocke Erscheinungsbild der Häuser Güldenstraße 79 und 80 ging auf Umbauten zurück. Es handelte sich jedoch um mittelalterliche Gebäude. An ihren Hofseiten waren außerdem Kemenaten erhalten geblieben. Ein weiteres mittelalterliches Steinhaus stand an der Ecke zur Petersilienstraße (Nr. 77). Das bereits um 1880 abgebrochene Bauwerk ließ an seiner Straßenfront noch Spuren aus dem 13. und 16. Jahrhundert erkennen. Durch den Feuersturm der Bombennacht vom 14./15. Oktober 1944 kam das im mittleren Teil der Güldenstraße gelegenes Steinhaus Nr. 23 zum Vorschein. Seine Ruine wurde durch Trümmerräumung beseitigt.
Von Fachwerkhäusern geprägt
Im Übrigen war die Güldenstraße von Fachwerkhäusern geprägt. Ihre langen Zeilen wurden von nur wenigen jüngeren Gebäuden aus den Gründerjahren unterbrochen. Wie in den meisten alten Straßen Braunschweigs reichte die Spanne der Holzbauten von gotischen Bauwerken aus dem 15. Jahrhundert bis zu den schlichten Zeugnissen aus der Zeit des Klassizismus. Zu den stattlichsten spätgotischen Häusern Braunschweigs gehörte Güldenstraße 14/15, das mit seinen 20 Fensterachsen Breite nachträglich geteilt wurde. Über den im 19. Jahrhundert vollständig veränderten Erdgeschossen erhoben sich zwei auskragende Stockwerke (ursprünglich Speicher) mit Treppenfriesen. Ihre inschriftliche Datierung zeigte die Jahreszahl 1480. Noch älter waren die mit wuchtigem Holzwerk verzimmerten Häuser am Nordende des Straßenzuges.
Zu den wertvollsten Renaissancebauten aus der Mitte des 16. Jahrhunderts gehörte das hoch aufragende Haus Nr. 8 mit seinen breiten kräftig vorkragenden Speicherstöcken. Hier stand die Kemenate nicht im Hofbereich, sondern seitlich des Hauses und war daher im Stadtbild präsent. Bei der Errichtung des Studentenwohnheims Michaelishof in den Jahren 1978-1983 entstand eine ähnliche Fachwerkfassade neu, um das Ensemble um St. Michaelis abzurunden. Zwei weitere Bauten aus der Zeit um 1550 stachen aus der Bebauung der Westseite im mittleren Straßenabschnitt heraus: die beiden viergeschossigen Häuser Nr. 24 und Nr. 30. Ihre hohen Satteldächer überragten die Nachbarn um das Doppelte.
Das Besondere an der Güldenstraße waren aber weiniger die Einzelhäuser, sondern das Gesamtensemble, das wiederum eingebettet war in ein diffiziles städtebauliches Gewebe mit immer wieder neuen Raumbildern von hohem Reiz.
Elmar Arnhold ist Bauhistoriker (Gebautes Erbe) und Stadtteilheimatpfleger. Auf Instagram @elmararnhold veröffentlicht er regemäßig Beiträge zu historischen Bauten in Braunschweig.