Startseite Gesellschaft & Lebensstil Wie in Braunschweig einst Milc...

Wie in Braunschweig einst Milchhandel betrieben wurde

von

Als es Milch nicht im Supermarkt gab, gingen die Braunschweiger zum Milchhändler oder ins Milchgeschäft. Die Zentralmolkerei war an der Hagenstraße.

Milch und Milchprodukte kauften die Menschen vor 100 Jahren nicht im Supermarkt, denn den gab es noch nicht, sondern im Milchgeschäft oder beim Milchhändler, der mit seinem Karren oder Wagen durch die Straßen fuhr und sich mit der Glocke ankündigte. Die Hausfrau ging mit ihrer Deckel-Kanne zum Einkauf und kaufte Milch, Sahne, Joghurt und Butter.

Der Verein für Gesundheitspflege

1877 hatten der Arzt Friedrich Reck, der Kaufmann John Landauer und der Hygieniker Rudolf Blasius den „Verein für öffentliche Gesundheitspflege“ im Herzogtum gegründet. Ihre Arbeitsschwerpunkte zur Hebung der Volksgesundheit: Abwasser- und Lebensmittelkontrolle, Müllbeseitigung und Schulhygiene. Mit Vorträgen, Artikeln in der Presse und Flugschriften veranlassten sie die Behörden, Missstände zu beseitigen beziehungsweise sorgten selbst für Abhilfe. Der Verein unterhielt eine eigene „Untersuchungsstelle“, um seinen Forderungen zur Durchsetzung von Hygienestandards bei Herstellung und Vertrieb von Nahrungsmitteln den notwendigen Druck zu verleihen. So bekämpften sie erfolgreich auch die sogenannten „Milchfälscher“.

Die Molkerei in der Hagenstraße

In der Festschrift „Braunschweig im Jahre 1896“ hieß es zur Zentralmolkerei Hagenstraße: „Zu Ende des Jahres 1880 vereinigten sich eine größere Zahl von Landwirten der näheren und weiteren Umgebung von Braunschweig zur Errichtung eines großen, allen Anforderungen der Neuzeit entsprechenden Molkerei-Etablissements, um die städtische Bevölkerung mit reiner, unverfälschter Milch und deren Produkten zu versorgen. Die Lieferung reiner und zweckmäßig behandelter Milch ist durch strenge, in den Milchlieferungs-Bedingungen enthaltenen Vorschriften in Bezug auf Fütterung des Milchviehs, Gewinnung, Behandlung und Transport der Milch gesichert. Nach diesen Vorschriften dürfen die Lieferanten nur Milch von gesunden, vorschriftsmäßig gefütterten und reinlich gehaltenen Kühen liefern.“

Logo Braunschweiger ZeitungDieser Artikel ist zuerst erschienen am 28.09.2022 (Bezahl-Artikel)

Verkauft wurden die Milchprodukte in kleinen Läden und im Straßenhandel, der unter staatlicher Aufsicht stand. Erst 1952 verbot ihn ein neues Milchgesetz. Die in den Molkereien abgefüllte Milch durfte dann nur noch in fest verschlossenen Gefäßen in Läden verkauft werden: mit Angabe der Sorte, der Firma, des Herstellungsortes und dem Tag der Abgabe. Das war das Ende des Straßenhandels.

Erhalten ist das Gebäude der Zentralmolkerei im Hof der Firma Görge in der Wiesenstraße/Ecke Steinbrecherstraße (früher Hagenstraße).

Mobiler Milchhandel

Unsere erste Postkarte entstand im Hof eines Mietshauses. Mit ihr stellte „W. Göhmann – Braunschweig“ sein Straßengeschäft vor. Ein Lastkarren, den ein Hund ziehen soll, steht in der Hofeinfahrt. Beladen ist er mit großen Milchkannen aus Edelstahl. Der Mann wirkt verkleidet, denn diese Art Schiebermütze und Stehkragen passen nicht zu solchen Händlern. Die Frau dagegen wirkt mit ihrem dunklen Kleid und der Kittelschürze wie eine Hausfrau.

Sie schauen gebannt in die Kamera und präsentieren kleine Milchkannen mit Ausgießer und Schöpfbecher. Zuständig für die Kasse ist sie. Das Blechschild W. Göhrmann lässt erkennen, dass der Karren gebraucht erworben wurde, vermutlich zusammen mit dem Hund.

Der Milchhändler Göhmann

Erst 1925 fand ich im Adressbuch einen Milchhändler Walter Göhmann. Er lebte in der Mietwohnung Arndtstraße 37. Dass er den Hundekarren länger behielt, ist kaum anzunehmen. Derartige Folklore kam beim Kunden nicht gut an. Vielleicht hat Walter bald einen Kleintransporter angeschafft, etwa einen dreirädrigen Goliath. Der war billig, für ihn brauchte man keinen Führerschein, und er kostete keine Steuern.

Oder vielleicht kaufte er einen Pferdewagen mit Kühlkasten wie Milchhändler Gustav Vollmer aus der Weststraße. Einfache Menschen hinterlassen kaum hinweisende Spuren – so bleibt vieles Vermutung. Die Göhmanns zogen 1928 ins Erdgeschoss eines der neuen Mehrfamilienhäuser am Walkürenring, hatten sich also ein wenig verbessert. Ihre Milchprodukte verkauften sie aber wie bisher ambulant.

Die mobilen Milchhändler brachten ihre geleerten Milchkannen nach Geschäftsschluss in die Molkereizentrale in der Hagenstraße und holten dafür am nächsten Morgen gefüllte Kannen ab. Milchhandel war kein ruhiges Geschäft: Im Braunschweiger Adressbuch von 1935 sind 138 Milchhandlungen aufgeführt. Hinzu kamen Händler aus den Dörfern. Noch Anfang der 1950er Jahre belieferte die Bauersfrau Müller mit ihrem Pferd Liese Lehndorf mit Milch, Sahne und Joghurt aus genormten Glasflaschen. Sie besaß in ihrem weißen Kastenwagen einen mit Trockeneis gekühlten Milchbehälter.

In der NS-Zeit wurde die Bezeichnung „Milchverteiler“ durchgesetzt, verlor sich nach 1945 aber wieder. Laut Adressbuch von 1950, dem ersten nach dem Krieg, hatte Walter Göhmann nun einen Laden, die „Milch- und Molkereiwarenhandlung, Freyastraße 52“, von wo aus er seine Milchprodukte verkaufte. Der Walkürenring, wo sie wohnten, lag nicht weit entfernt. Dem Mehrfamilienhaus in der Freyastraße 52 war nach dem Krieg ein eingeschossiges Flachdachgebäude angehängt worden, das es immer noch gibt.

Das nächste Adressbuch erschien 1952. Der aktuelle Eintrag lautete: „Minna Göhmann, Witwe, Milch- und Molkereiwarenhandlung, Freyastraße 52.“

Die Frau auf der Postkarte

Wer war sie? Dazu benötigte ich Zugang zur Sterbeurkunde von Walter Göhmann, die im Stadtarchiv einsehbar ist. Der gesuchte Eintrag lautet: „Der Milchhändler Kurt Walter Göhmann, Braunschweig, Walkürenring 39, ist am 12. September 1950 um 15 Uhr 30 Minuten in Braunschweig in seiner Wohnung verstorben. Der Verstorbene war geboren am 11. Oktober 1899 in Nordhausen. Der Vater war der Dreher Heinrich Göhmann, die Mutter Elisabeth Göhmann, geborene Müller. Todesursache: Magenkrebs. Der Verstorbene war verheiratet mit Minna Göhmann, geborene Duck. Eheschließung am 23.12.1923 in Braunschweig.“

Seinen Vater Heinrich Göhmann fand ich in den Adressbüchern als Metalldreher, wohnhaft in der Jahnstraße 24. Im Frühjahr 1924 hatte der Sohn zusammen mit seiner Ehefrau den Milchhandel begonnen, erst 1950 besaß das Ehepaar einen eigenen kleinen Laden.

Den behielt Minna Göhmann nach dem Tode ihres Mannes und auch die Wohnung am Walkürenring. Erst 1969 ging sie in den Ruhestand.

Logo Braunschweiger ZeitungDieser Artikel ist zuerst erschienen am 28.09.2022 und erreichbar unter: https://www.braunschweiger-zeitung.de/braunschweig/article236545309/Wie-in-Braunschweig-einst-Milchhandel-betrieben-wurde.html (Bezahl-Artikel)

Bilboard 2 (994x118 px)