Startseite Heimat & Identität Zuckerrüben machten die Brauns...

Zuckerrüben machten die Braunschweiger Bauern einst wohlhabend

von

Im Braunschweiger Land stand einst Zuckerfabrik neben Zuckerfabrik. Doch dann war das schlagartig vorbei.

Wer im Spätherbst bei Schöppenstedt über Land fährt, wundert sich über die fette dunkelbraune Erde der gepflügten Felder. Es sind Schwarzerdeböden, gut geeignet für den Anbau von Zuckerrüben. „Wie die Zuckerrübe den höchsten Nährwert aller landwirtschaftlichen Kulturpflanzen liefert, so hilft sie als Futterpflanze, die Viehhaltung stark und leistungsfähig zu machen“, heißt in der Chronik der dortigen Zuckerfabrik.

Logo Braunschweiger ZeitungDieser Artikel ist zuerst erschienen am 22.3.2023

Seit 1864 verdrängte der Rübenzucker den importierten Rohrzucker. In großer Dichte reihten sich dann im Kerngebiet des Herzogtums Braunschweig die Zuckerfabriken aneinander, die von Schöppenstedt, die unsere Postkarte abbildet, wurde 1864 gegründet. Weiter als zehn Kilometer mussten die Rübenbauern ihre Ernte nicht transportieren. Mittlerweile ist das Vergangenheit.

Im Dorf Watenstedt bei Jerxheim gibt es ein ländliches Museum, liebevoll eingerichtet vom Lehrer Heinrich Kumlehn (geöffnet sonntags im Sommer), das auch eine Landkarte mit allen Zuckerfabriken zwischen Hildesheim und Magdeburg um 1900 zeigt. Klaus Dahm zählt sie in seiner Broschüre „Die Zuckerfabriken Deutschlands“ auf und kommt für den Zeitraum 1900 bis 2021 auf 302. Spitzenplätze belegen das heutige Sachsen-Anhalt mit 135 und Niedersachsen mit 77. Bayern bringt es auf 3. Das hängt mit den Böden zusammen.

Geologische Grundlagen zum Anbau von Zuckerrüben

In den „Erläuterungen zur Geologischen Karte von Preußen und benachbarten deutschen Ländern“ heißt es 1931: „Die landwirtschaftlich wichtigsten und besten Böden sind die Lössböden, die sich ihrerseits in zwei Gruppen trennen, und zwar in die reinen Lössböden und die Schwarzerdeböden. Die ersteren sind ausgesprochene Weizen-, Roggen-, Hafer- und Kartoffelböden, während die Schwarzerdeböden infolge ihres häufig höheren Wassergehaltes zum ‚Auswintern‘ neigen und daher in erster Linie als Rübenböden genutzt werden.“

Die Rübenburg auf dem ehemaligen Bauernhof Möhrig in Watzum. Foto: Reinhard Bein

Um Frostschäden zu vermeiden, wurde deshalb erst im Frühjahr gesät. Rübenfelder bedurften früher einer personalintensiven Pflege: Wenn die Saat im Frühjahr aufläuft, grünen Unkräuter und Kulturpflänzchen um die Wette. Später müssen die Schösslinge der Rüben reduziert werden. Dieses „Rübenverziehen“ war harte Knochenarbeit. Geerntet wurden die Rüben anfangs mit einer „Rodegabel“ (Gribbel), eine Arbeit, die Kraft und Präzision erforderte.

Zuckerrüben-Reste als Futter für die Kühe

Die Bauern sagten: „Ist es trocken, hält sich die Rübe mit aller Kraft an der Erde fest. Ist es nass, dann hält sich die Erde klumpenweise an der Rübe fest.“ Mit der Gribbel lösten die Erntehelferinnen (in der Regel Frauen), die Rüben aus dem Boden, ein seitlich angebrachter eiserner Sporn erleichterte diese Arbeit. Von den Rüben mussten noch die großen Blätter getrennt werden. Sie dienten als Viehfutter. Es wurde in Mieten (Silos) durch den Winter gebracht, und die Kühe fraßen die stinkende Silage mit Genuss.

Ab 1922 setzte sich das Pommritzer Verfahren durch: „Erst köpfen, dann roden.“ Das verminderte die Handarbeit und führte zur Herstellung brauchbarer Erntemaschinen. Der letzte Akt war der Weg mit dem Pferdefuhrwerk zur Zuckerfabrik.

Rübenburgen als Zeichen des Wohlstands

Nach der Aufhebung der Zwangsabgaben an die dörflichen Grundherren, der Umverteilung des Landes im Herzogtum Mitte des 19. Jahrhunderts und der Erhebung von Zöllen auf Rohrzucker konnten die Bauern im Braunschweiger Kernland gewinnbringend Zuckerrüben anpflanzen und in Zuckerfabriken investieren. Besonders nach der Reichseinheit 1871 mit dem wirtschaftlichen Wachstum Deutschlands stieg der Zuckerkonsum erheblich.

Allein im engeren Umkreis von Schöppenstedt arbeiteten zehn Zuckerfabriken, die als Aktiengesellschaften überwiegend Bauern gehörten. Jeder Aktionär musste etwa 60 Morgen Zuckerrüben anbauen. Sie erbrachten mehr Gewinn als alle ihre übrigen Feldfrüchte zusammen. Ihr Wohlstand ist an den „Rübenburgen“ zu ermessen, ansehnlichen Villen mit gewaltigen Ställen und Scheunen im Winkel, die Vierseithöfe genannt wurden.

Unser Beispiel Watzum: In dem schmucken Dorf bei Schöppenstedt fallen der Hof des Rittergutes, 1704 erbaut von Landbaumeister Hermann Korb, und die beiden stattlichen „Ackerhöfe“ Eppers und Möhrig auf. Der wachsende Wohlstand dieser Großbauern, sie hießen hier Ackermann und Halbspänner, lässt sich an der Familie Möhrig gut zeigen.

Heimatpfleger Walter Lehmann mit einer Gribbel in der Heimatstube Watzum. Foto: Reinhard Bein

Zwangsabgabe 1937 unter den Nationalsozialisten

Heinrich Friedrich Möhrig (1834 bis 1899), der einen Halbspännerhof geerbt hatte, heiratete 1868 Marie Druwe, die den benachbarten Ackerhof besaß, und erwarb durch Zukäufe weitere angrenzende Flächen, sodass ihm schließlich ein großes, in sich geschlossenes Areal gehörte. Er war damit der größte Bauer im Ort, baute Getreide und Zuckerrüben an und war Teilhaber an der Aktien-Zuckerfabrik Schöppenstedt.

Seine Rübenburg als markantestes Gebäude des Dorfes entstand um 1900. Erbauer war sein Sohn Heinrich Andreas, der Alma Decker heiratete, die ihm 1911 den einzigen Sohn Friedrich Wilhelm gebar. Nach dessen Tod 1941 in Frankreich wurde der Hof vom Staat angefordert. Wegen des Aufbaus der „Reichswerke“ ab 1937 nämlich mussten etliche Bauern ihre Höfe im Salzgittergebiet abgeben und erhielten einen anderen verfügbaren Betrieb. Im Fall Möhrig wurde die Familie Bohnhorst Eigentümer. Heute gehört die Rübenburg einer Gerüstbau-Firma.

Maßnahme gegen Zuwanderer

Dem wachsenden Wohlstand der Rübenbauern standen die Arbeitsbedingungen und Löhne in Landwirtschaft und Zuckerindustrie gegenüber. Bald wollten Einheimische die schwere und schlecht bezahlte Arbeit nicht mehr machen, sie wanderten in die Stadt ab. Die Lösung: „Wanderarbeiter“, überwiegend aus Schlesien, dem Eichsfeld und Polen, fast durchweg katholisch. Sie lebten mit minderen Rechten in Separatbauten der Bauernhöfe. Im Schöppenstedter Amtsbezirk etwa durften die 880 Katholiken erst ab 1908 hier ihren Gottesdienst feiern: viermal im Jahr, im Saal einer Gastwirtschaft. 1918 fielen diese Restriktionen, und das Bistum Hildesheim konnte katholische Kirchen bauen. Mehr und mehr Saisonarbeiter blieben nun dauerhaft hier. St. Joseph in Schöppenstedt wurde 1927 geweiht.

Seit dem Ersten Weltkrieg beutelten Krisenzeiten die Bauern. Die Zuckerindustrie antwortete mit immer neuen Konzentrationen, die zu Schließungen von Zuckerfabriken führten. Einziger Standort in der Region heute: Schladen.

Logo Braunschweiger ZeitungDieser Bezahl-Artikel ist zuerst erschienen am 22.3.2023 und erreichbar unter: https://www.braunschweiger-zeitung.de/braunschweig/article237959411/Zuckerrueben-machten-die-Braunschweiger-Bauern-einst-wohlhabend.html

Bilboard 2 (994x118 px)